Bringen wir die obligate Frage nach Vorbildern hinter uns.
In meiner Kindheit: Kandinski, Klee und Franz Marc und die Künstlergruppe „Blaue Reiter“. Bilder dieser Künstler hingen überall in der Wohnung meiner Kindheit. Klangvolle, leuchtkräftige und farbenfrohe Bilder. Aber das grösste Vorbild war meine Grossmutter Frieda Gerényi-Kozuschnik aus Wien (1900-1980), die ich oft besuchte. Sie beeinflusste mich gestalterisch, handwerklich, mit ihren Wiener Kochkünsten und durch unsere häufigen Museumsbesuche im Kunsthistorischen, vor allem das Naturhistorische Museum faszinierte mich so, dass Omi mich dort in der Kindheit alleine hinschickte und ich nach einigen Stunden wieder zurück zu ihrer Wohnung in der Floriansgasse in der Josefstadt im achten Bezirk spazierte.
Jedes Jahr knüpfte meine Grossmutter einen Teppich. Vorbilder waren Postkarten von Paul Klee. Zusammen übertrugen wir mit einem Raster die Formen und Farben, Vögel, Pflanzen und Fische von den kleinen Karten auf die grosse Teppichvorlage. Dann wählten wir Farben für die Wolle aus und spazierten zur gegenüberliegenden Garn- und Nähhandlung. Mit staunenden Kinderaugen betrachtete ich Tausende von bunten Wolllknäueln und Stoffen. Nur die beste Schafwolle kam für Omi in Frage. Heute, nach bald hundert Jahren, sehen die Teppiche immer noch wie neu aus!
Farbe und Form kommen in der Collage gut zur Geltung. Was fasziniert Dich daran?
Aus dieser für mich fast magischen Beschäftigung entstand für mich schon früh die Faszination über Farbe, Form und Material. Schere, Leim, damals meine kleinen flinken Hände: alles wird ertastet! Die Farbe für den Sehsinn, das Material für den Tastsinn, die Werkzeuge und die Hände für die Geschicklichkeit. Deshalb gibt es bei mir so viele Collagen, da kann ich jedes Material brauchen, das mich fasziniert. Nicht nur Papier, ausgetrocknete Blindschleichen, rostige Bahnschwellenschrauben, seidige Rebhuhnfedern, angeschwemmte Glasscherben…
Du machst seit 50 Jahren Kunst, meist neben einem Volljob und als alleinerziehende Mutter von vier Kindern (heute erwachsen). Wie geht das?
Die Kunst wurde mir durch die Musik meiner Mutter und durch die Skizzen meines Vaters (Ingenieur) sozusagen in die Wiege gelegt. Dazu eine Episode mit meiner Kindergartenlehrerin Fräulein Blum: Nach meinem letzten Tag im Kindergarten stand Frau Blum vor unserer Haustüre mit einer dicken Mappe, gefüllt mit meinen Kinderzeichnungen. Sie sagte zu meiner Mutter: «Bitte bewahren Sie diese Bilder für Ihre Tochter Mirjam auf.» Mit diesen kinderfarbenfrohen «Gemälden» betrat ich 18 Jahre später die Aufnahmeprüfung an den Vorkurs der Kunstgewerbeschule in Luzern. Der damalige Rektor Werner Andermatt war von diesen kindlichen Zeichnungen dermassen fasziniert, dass ich die Aufnahmeprüfung somit praktisch schon mit 6 Jahren bestanden hatte. Neben Haushalt, Kindern und Beruf auch noch malen? Ich zeichne und male jeden Tag, wenn ich traurig bin, wenn ich glücklich bin, wenn mich etwas fasziniert, wenn mich etwas bewegt… ein wunderbares Musikstück oder die eingetrocknete Blindschleiche.
Wie wird Natur zu Kultur, die Realität zum Bild?
Beobachten — umsetzen, Erlebtes — in Bildsprache bringen.
Du hast schon vor langer Zeit in New York zusammen mit anderen Kunstmode ausgestellt, neulich in St. Florian 2017 in Österreich in einem Kloster einige Bilder entstehen lassen. Wie erfährst Du die Kunstförderung in der Schweiz?
Da ich mein Geld als Werk- und Zeichenlehrerin und Kunsttherapeutin verdiente, habe ich mich nie um Kunstförderung bemüht. Ausser mit unserer Frauengruppe «Art to Wear». Dort im Ausland waren die Kontakte sehr wichtig. Kunst hat in der Schweiz keinen grossen Stellenwert – es ist oft nur eine Investition. Ausstellungen im Ausland sind eine grosse Bereicherung: Austausch mit fremden Menschen, zusammen mit ihnen Ausstellungen planen, realisieren – und dann die Eröffnung, das sind grossartige gemeinschaftliche Erlebnisse, das fördert die Kunst, ist erfüllend und anregend, ja beflügelt!
Die Faszination der dritten (und vierten) Dimension: Buchobjekte, Mini-Plastiken, objet trouvé und Naturfunde. Ambiente-Gestaltung bis hin zum Gesamtkunstwerk (Leben im Atelier, Nachlasssichtung und Einbezug in Bildwelten u.a.). Gedanken dazu?
Das habe ich ja schon eingangs aufgezählt. Zu den Nachlasssichtungen von Miklos Magos, meines Tanzfreundes und dem meiner Mutter Ilse Huber-Gerényi, beide 2012 gestorben, könnte ich ganze Bücher schreiben. Beide haben mir ein musikalisches, philosophisches und geistreiches Erbe hinterlassen, dass ich auch heute, nach acht Jahren, immer wieder in meine Kunstwerke einfliessen lasse.
Du schaffst Wort-Bild-Verbindungen. Was reizt Dich daran?
Worte haben Kraft. Sie erzeugen bei mir bildnerische Fantasien. Zum Beispiel eines meiner Wortspiele „gescheit – gescheiter – gescheitert“, dass mich zu einem Ölbild eines Scheiterhaufens und die Dichterin Ariane Braml zu einem Gedicht inspirierte.
Sozial-pädagogische Arbeiten als Werklehrerin und Kunsttherapie mit SeniorInnen sind Aufgaben, die viel Kraft erfordern. Was bekommst Du dafür zurück?
Jeder Mensch ist mit seinem Geschick, seiner Lebensgeschichte eine Bereicherung. Das bedingt meinerseits zuhören, beobachten und Wahrnehmung. Durch die Kunstvermittlung als Kunstpädagogin versuche ich in einer Wechselwirkung die Stärken jedes Menschen aufzuspüren und zu wecken. Durch jedes Werk, welches ein Kind, eine Jugendliche und ein Mensch in hohem Alter erschaffen, wächst in ihnen etwas Wesentliches und in mirr selbst ebenso. Dies als Pädagogin mit einem Gegenüber mitzuerleben gibt Kraft und Erfüllung, es erwächst Dankbarkeit.
Kunst am Zürichsee. Dein Atelier hat Seesicht. Dein Haus am Walensee auch. Begünstigt dies Dein Kunstschaffen, wie oft kommen Seen darin vor…?
Ich bin ein Seekind und kann mir nicht vorstellen, ohne See zu leben. Vögel und Schiffe beobachten, Wetterstimmungen, Wolkengebilde, Fläche und Weite, Ruhe – Bewegung, Eisgebilde im Winter – Menschengewimmel im Sommer, schwimmen, surfen, segeln…Ich habe aber fast nie eine Stimmung am See festgehalten, trotzdem ist die Seele der Seen in meinen Bildern zu sehen!
Du hast Ende November 2020 trotz Corona eine kleine Ausstellung organisiert mit Deinen Bildern und Texten der Poetin Ariane Braml. Welche Erfahrungen hast Du dabei gemacht? Was würdest Du eventuell anders machen?
Es war wunderbar, mit den Gedichten der Poetin Ariane Braml und meinen Bildern dazu diese Ausstellung gemeinsam umzusetzen. Erstaunt war ich, dass trotz Corona so viele Interessierte in mein Atelier kamen. Die Gedichte wurden von Besuchern laut rezitiert. Dies gab der Ausstellung eine weitere Dimension. Das hat mich sehr gefreut. Schade war nur, dass ich selber nicht die Zeit hatte, um mit allen Besucherinnen und Besuchern ins Gespräch zu kommen. Jede Ausstellung bietet diese Chance: aber mit allen Anwesenden gerecht zu werden, das geht leider nicht.
Ich sehe nichts, was ich ändern könnte. Gerne überlasse ich die Begegnungen dem Zufall. Auch in dieser „Corona-Ausstellung“ im kleinsten Rahmen gab es wunderschöne Zufälle, Einfälle, aber keine Um/nfälle!
«Ohne Kunst (Musik) ist das Leben ein Irrtum» und «Wir brauchen die Kunst, um die Wirklichkeit aushalten zu können.» (Nietzsche).
Ja klar, Kunst stärkt unsere Seele, Geist und unser Wohlbefinden!
Rudolf Weiler, Dr. phil., Verleger, Uitikon-Waldegg.